Körperliche und emotionale Reaktionen nach einer Straftat verstehen

Ist das, wie ich mich fühle, normal?

Es ist schlimm, eine Straftat zu erleben und danach mit den Folgen zurechtkommen zu müssen. Dabei ist wichtig: Die Schuld liegt bei der Tatperson, nicht bei Ihnen.

Es ist absolut normal, dass solche Ereignisse intensive emotionale und körperliche Reaktionen hervorrufen. Keine dieser Reaktionen bedeutet, dass Sie etwas falsch gemacht haben. Als Betroffene*r tragen Sie keine Verantwortung für das, was Ihnen passiert ist.

Viele Menschen wünschen sich im Nachhinein, sie hätten anders reagiert. Machen Sie sich keine Vorwürfe. Eine Straftat kann eine beängstigende und einschneidende Erfahrung sein. Ihre Reaktion war kein Zeichen von Schwäche oder Versagen, sondern wahrscheinlich ein Reflex.

In extrem belastenden Momenten schaltet der Körper automatisch in den sogenannten „Überlebensmodus“. Dadurch können unwillkürliche Verhaltensweisen auftreten, über die Sie keine Kontrolle haben.

Diese körperlichen Reaktionen sind unter dem Begriff „Fight-or-Flight-Reaktion“ (Kampf- oder Flucht-Reaktion) bekannt. Manchmal kommt es auch zur sogenannten „Freeze“-Reaktion (Erstarren), einem weiteren typischen, körperlichen Reflex. Alle drei Schutzmechanismen dienen dazu, mit einer als bedrohlich erlebten, bestimmten Situation möglichst gut umzugehen.

  • Fight (Kampf): Manche Menschen reagieren auf Gefahr, indem sie sich wehren. Ihr Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt, Adrenalin wird ausgeschüttet, der Puls steigt, die Muskeln spannen sich an. Viele beschreiben dabei ein Gefühl von plötzlicher Entschlossenheit oder Wut, das sie dazu befähigt, sich zu verteidigen.
  • Flight (Flucht): Andere verspüren den Drang, aus der gefährlichen Situation so schnell wie möglich zu fliehen. Auch das ist eine gesunde Reaktion, die darauf abzielt, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, die Gedanken richten sich auf Fluchtwege oder Auswege.
  • Freeze (Erstarren): Der Körper kann sich auch blockieren. Man ist wie gelähmt, reagiert nicht, obwohl man die Situation bewusst wahrnimmt. Diese „Schockstarre“ ist ebenso eine automatische Schutzfunktion. Der Körper versucht so sich zu schützen und die Situation möglichst unbeschadet zu überstehen. 

All diese Reaktionen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägt und nicht bewusst steuerbar. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Was auch immer Sie getan haben, um zu überleben, war für Sie in diesem Moment genau richtig.

Nach der Tat: Typische Folgen

Eine Straftat zu erleben, kann Körper und Geist stark erschüttern. Viele Menschen empfinden danach eine Vielzahl an emotionalen Reaktionen: Angst, Wut, Schuld, Scham oder Traurigkeit. Auch wenn Sie sich innerlich leer oder „abgestumpft“ fühlen, ist das eine mögliche Reaktion auf das Erlebte.

Solche Empfindungen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie zeigen vielmehr, dass Sie etwas Außergewöhnliches erlebt haben. Es ist normal, in der Zeit danach unter emotionalem Stress zu stehen. Auch negative Gedanken zu haben, ist nicht ungewöhnlich.

Neben den Gedanken und Gefühlen zeigt sich emotionale Belastung oft auch im Körper:

  • Schlafprobleme
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Anspannung oder Nervosität

Verhaltensweisen können sich ebenfalls verändern. Manche Menschen ziehen sich zurück, meiden bestimmte Orte oder Umstände, die sie an die Tat erinnern. Das können der Tatort, einzelne Straßen oder Geräusche sein.

Andere suchen verstärkt nach Nähe, Körperkontakt oder vertrauten Personen, um sich sicher zu fühlen. Manche versuchen, möglichst schnell zur Normalität zurückzukehren und den Alltag wie gewohnt weiterzuführen.

Jede*r geht anders mit dem Erlebten um – es gibt viele persönliche Wege, damit zurechtzukommen. Bewegung an der frischen Luft, Entspannungsübungen, genügend Schlaf und gesunde Ernährung stärken die Kräfte und fördern die Erholung. Das kann eine positive Verarbeitung des Erlebten unterstützen.

Setzen Sie sich nicht unter Druck, zu „funktionieren“. Geben Sie sich Zeit.

Hilfe und Unterstützung finden

Sie müssen das Erlebte nicht allein bewältigen. Unterstützung ist jederzeit möglich, egal, ob die Tat erst vor kurzer Zeit passiert ist oder schon länger zurückliegt. Es ist nie zu spät, sich Hilfe zu holen.

Das gilt vor allem, wenn Sie nach sechs bis acht Wochen keine Verbesserung wahrnehmen. Auch wenn die Belastung Ihren Alltag weiterhin einschränkt, ist es sinnvoll, Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

In Ihrer Situation finden Sie passende Unterstützung bei Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen oder einer Beratungsstelle. Diese professionelle Hilfe kann dazu beitragen, das Erlebte zu verarbeiten und mehr Stabilität in Ihr Leben zu bringen.

Was Sie empfinden, ist normal. Hilfe zu suchen, ist stark.